Die schriftliche Begründung des BGH gegen den “GoMoPa”-“Nawito”- Suchmaschinen-Terror

BGH-Urteil zu Suchmaschinen

Richter nehmen Google-Vorschläge unter die Lupe

Ein Kosmetikhersteller hat vor dem BGH ein wegweisendes Urteil erstritten: Künftig können Suchmaschinenbetreiber für Verletzungen des Persönlichkeitsrechts bei sogenannten Autocomplete-Vorschlägen haftbar gemacht werden.

Von Michael Reissenberger, SWR

Gernot Lehr, der Anwalt von Bettina Wulff, die ihren Ruf gegen Rotlichtgerüchte vor Gericht verteidigt, hatte den richtigen Riecher, als er kürzlich eine Vertagung des laufenden Verfahrens erwirkte. Denn das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) sorgt künftig für Schutz für alle, die sich beim Googeln ihres Namens von Suchvorschlägen beleidigt fühlen.

Die Bundesrichter nehmen jetzt die Betreiber von Suchmaschinen stärker in die Pflicht. Sie müssen zwar nicht selber das Netz auf alle Suchwortkombinationen, die vielleicht Anstoß erregen könnten, durchpflügen. Denn – so sagen die Bundesrichter – im Prinzip sei gegen eine Suchwortergänzung nichts einzuwenden. Schließlich würden von einer Rechenmaschine zunächst nur Suchvorschläge von Internetnutzern ausgewertet.

Geldentschädigung für Rufschädigungen

Aber sie müssen spätestens reagieren, wenn Betroffene auf solche Rufschädigungen per Internet hinweisen. Die Internetunternehmen müssen dann zumindest rechtswidrige  Verletzungen des Persönlichkeitsrechts abstellen und bei weiteren Verstößen auch eine Geldentschädigung bezahlen.

Schutz der Persönlichkeitsrecht hat Vorrang
tagesschau 20:00 Uhr, 14.05.2013, Gigi Deppe, SWR

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Ein Kosmetikhersteller hat dieses Urteil für Google-Geschädigte erstritten. Er sah seinen Namen zu Unrecht mit den Kombinationswörtern Scientology und Betrug in den Schmutz gezogen und bestand darauf, dass er in keinerlei Zusammenhang mit diesem als geldgierig verrufenen Sektenbetrieb steht oder stand. Zudem sei ihm kein Betrug vorzuwerfen, es habe auch kein entsprechendes Ermittlungsverfahren gegeben. Die Suchergebnisse von Google würden auch keine einzige Seite auflisten, die eine Verbindung zwischen dem Kosmetikhersteller und den beiden Ergänzungswörtern Scientology und Betrug aufweisen.

Ihm hatten Kölner Richter in zwei Instanzen den Schutz gegen den Internetriesen verweigert. Es seien schließlich nur mathematische Effekte je nach Suchworthäufigkeit, kein Internetnutzer nehme für bare Münze, welche Suchwortvorschläge da kommen, so hatten die Kölner Juristen argumentiert.

Hintergrund

Googles Autocomplete-Funktion

Ein praktischer Helfer mit Risiken mehr

Google allzu dickfellig

Doch nun muss Google solche Beschwerden wegen Rufmords ernster nehmen. Auch im Fall von Bettina Wulff dürfte mit dem jetzigen Bundesgerichtshofurteil klar sein, dass der Internetkonzern sich in den letzten Monaten allzu dickfellig verhalten hat. Die Rotlichtgerüchte um die Präsidentengattin, die der Google-Suchwortmodus verbreitet hat, waren ja schon seit längerem öffentliches Thema, bis sich Bettina Wulff entschloss, dagegen vorzugehen. Hier dürfte sehr spannend werden, ob und welche Geldentschädigung hier verlangt werden kann.

Der Bundesgerichtshof hatte auch im vorliegenden Fall noch nicht darüber zu entscheiden, weil er das Kölner Musterverfahren nochmal an die untere Instanz zur Nachbesserung zurückgeschickt hat. Die Bundesrichter kündigten aber im Grundsatz bei solchen Google-Rufschädigungen einen Anspruch auf Geldentschädigung zumindest in engen Grenzen an.

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2013&Sort=3&nr=64071&pos=0&anz=86

Siehe auch:  Urteil des VI. Zivilsenats vom 14.5.2013 – VI ZR 269/12 –

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Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 87/2013

Bundesgerichtshof entscheidet über die

Zulässigkeit persönlichkeitsrechtsverletzender

Suchergänzungsvorschläge bei “Google”

Die Klägerin zu 1, eine Aktiengesellschaft, die im Internet Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetika vertreibt, sowie der Kläger zu 2, ihr Gründer und Vorstandsvorsitzender, machen gegen die Beklagte mit Sitz in den USA, die unter der Internetadresse “www.google.de” eine Internet-Suchmaschine betreibt, Unterlassungs- und Geldentschädigungsansprüche geltend. Durch Eingabe von Suchbegriffen in die Suchmaschine der Beklagten können Nutzer über eine angezeigte Trefferliste auf von Dritten ins Internet eingestellte Inhalte Zugriff nehmen. Seit April 2009 hat die Beklagte eine “Autocomplete”-Funktion in ihre Suchmaschine integriert, mit deren Hilfe dem Internetnutzer während der Eingabe seiner Suchbegriffe in einem sich daraufhin öffnenden Fenster automatisch verschiedene Suchvorschläge (“predictions”) in Form von Wortkombinationen angezeigt werden. Die im Rahmen dieser Suchergänzungsfunktion angezeigten Suchvorschläge werden auf der Basis eines Algorithmus ermittelt, der u.a. die Anzahl der von anderen Nutzern eingegebenen Suchanfragen einbezieht.

Der Kläger zu 2 stellte im Mai 2010 fest, dass bei Eingabe seines Namens R.S. in dem sich im Rahmen der “Autocomplete”-Funktion öffnenden Fenster als Suchvorschläge die Wortkombinationen “R.S. (voller Name) Scientology” und “R.S. (voller Name) Betrug” erschienen. Dadurch sehen sich die Kläger in ihrem Persönlichkeitsrecht und geschäftlichen Ansehen verletzt. Sie haben u.a. behauptet, der Kläger stehe weder in irgendeinem Zusammenhang mit Scientology noch sei ihm ein Betrug vorzuwerfen noch ein entsprechendes Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. In keinem einzigen Suchergebnis sei eine Verbindung zwischen dem Kläger und “Scientology” bzw. “Betrug” ersichtlich.

Die Kläger verlangen von der Beklagten, es zu unterlassen, auf der Internetseite ihrer Suchmaschine nach Eingabe des Namens des Klägers zu 2 als Suchbegriff im Rahmen der “Autocomplete”-Funktion die ergänzenden Kombinationsbegriffe “Scientology” und “Betrug” vorzuschlagen. Darüber hinaus begehren sie Ersatz vorprozessualer Rechtsverfolgungskosten und der Kläger zu 2 zusätzlich die Zahlung einer Geldentschädigung. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.

Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Kläger hatte Erfolg. Der u. a. für Persönlichkeitsrechtsverletzungen zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Das Berufungsgericht hat einen Unterlassungsanspruch der Kläger entsprechend §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB i.V.m. Art. 1, 2 GG gegen die Beklagte als Betreiberin der Internet-Suchmaschine rechtsfehlerhaft verneint.

Die Suchwortergänzungsvorschläge “Scientology” und “Betrug” bei Eingabe des Vor- und Zunamens des Klägers zu 2 in die Internet-Suchmaschine der Beklagten beinhalten eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Kläger, da ihnen ein fassbarer Aussagegehalt innewohnt, zwischen dem Kläger zu 2 und den negativ belegten Begriffen “Scientology” und/oder “Betrug” besteht ein sachlicher Zusammenhang.

Die Kläger würden hierdurch in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt, wenn diese Aussage – wie sie vorgetragen haben – unwahr wäre und deshalb in der Abwägung ihrer grundrechtlich geschützten Position gegenüber derjenigen der Beklagten das Übergewicht zukäme.

Diese Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Kläger ist der Beklagten auch unmittelbar zuzurechnen. Sie hat mit dem von ihr geschaffenen Computerprogramm das Nutzerverhalten ausgewertet und den Benutzern der Suchmaschine die entsprechenden Vorschläge unterbreitet.

Daraus folgt allerdings noch nicht, dass die Beklagte für jede Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung durch Suchvorschläge haftet. Der Beklagten ist nämlich nicht vorzuwerfen, dass sie eine Suchvorschläge erarbeitende Software entwickelt und verwendet hat, sondern lediglich, dass sie keine hinreichenden Vorkehrungen getroffen hat, um zu verhindern, dass die von der Software generierten Suchvorschläge Rechte Dritter verletzen.

Nimmt ein Betroffener den Betreiber einer Internet-Suchmaschine mit Suchwortergänzungsfunktion auf Unterlassung der Ergänzung persönlichkeitsrechtsverletzender Begriffe bei Eingabe des Namens des Betroffenen in Anspruch, setzt die Haftung des Betreibers die Verletzung zumutbarer Prüfpflichten voraus. Der Betreiber einer Suchmaschine ist regelmäßig nicht verpflichtet, die durch eine Software generierten Suchergänzungsvorschläge generell vorab auf etwaige Rechtsverletzungen zu überprüfen. Der Betreiber ist grundsätzlich erst verantwortlich, wenn er Kenntnis von der rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts erlangt.

Weist ein Betroffener den Betreiber auf eine rechtswidrige Verletzung seines Persönlichkeitsrechts hin, ist der Betreiber verpflichtet, zukünftig derartige Verletzungen zu verhindern.

Das Berufungsgericht hat – aus seiner Sicht folgerichtig – eine rechtliche Würdigung unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Prüfungspflichten ebenso wenig vorgenommen wie unter dem Gesichtspunkt des – nur in engen Grenzen zu gewährenden – Anspruchs auf Geldentschädigung und des Anspruchs auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Dies wird es nachzuholen haben.

Urteil vom 14. Mai 2013 – VI ZR 269/12

LG Köln – Urteil vom 19. Oktober 2011 – 28 O 116/11

OLG Köln – Urteil vom 10. Mai 2012 – 15 U 199/11

abgedruckt in GRUR-RR 2012, 486 und ZUM 2012, 987

Karlsruhe, den 14. Mai 2013

Pressestelle des Bundesgerichtshofs 
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501